Greven, St. Josef - Münster, Benediktshof, 30. Juni
13. Sonntag i. Jk 2024
Einführung
„Ihr kennt“, schreibt Paulus, „die Gnade unseres Herrn Jesus Christus: Er, der reich war, wurde euretwegen arm, um euch durch seine Armut reich zu machen.“ (2 Korinther 8,9). Dieses Wort, diese Einsicht berührt mich. Wenn ich doch auch hier, in Jesu Armut, sein Teilhaber wäre! Aber da stehe ich mir selbst im Weg. Denn seit Jahr und Tag gehöre ich zu den Bessergestellten, den Begüterten in unserer Wohlstandsgesellschaft. Wie bettelarm Jesus zusammen mit all seinen geringsten Schwestern und Brüdern ist, wie bettelarm Gott in ihnen ist – davon bin ich weit entfernt. Aber ich ahne trotzdem, wie wieviel wir ihnen zu verdanken haben. Verkörpern sie doch die Freigebigkeit dessen, der reich war, aber unseretwegen arm wurde, um uns durch seine Armut reich zu machen.
Predigt
(Weisheit 1,13-15; 2,23; Psalm 30,2.4-6.12a-13b; 2 Korinther 8,7.9.13-15; Markus 5,21-43. Hier verwendete Kurzfassung: Markus 5,22-34)
Gott hat alles geschaffen. Oder doch nicht? Schließlich begann unsere heutige Lesung aus dem Buch der Weisheit ja mit diesem Satz: „Gott hat den Tod nicht gemacht“. Gott hat, hörten wir weiter, „keine Freude am Untergang der Lebenden“. Seine Freude ist dies: „Zum Dasein hat er alles geschaffen, und heilbringend sind die Geschöpfe der Welt“. „Kein Gift des Verderbens ist in ihnen, denn die Gerechtigkeit ist unsterblich“.
Am Untergang von lebenden Wesen Freude haben, ihnen Unheil bringen, so hinterhältig wie möglich: Ja, dazu sind wir Menschen fähig. Wie kennen wir uns damit aus! Nicht nur in Horrorfilmen. An all das sind wir gewöhnt. Da kann uns kaum noch etwas überraschen.
Sjoerd Kuyper, ein niederländischer Schriftsteller, hat sich seit fünfzig Jahren einen Namen gemacht als Verfasser von Kinderbüchern. Gerade ist noch ein neues erschienen, „Die große Flut“. Hauptperson sind Moos, ein elternloser 13-jähriger Junge, und sein Pflege-Opa Leon. (NRC-Handelsblad 20.06.2024) . So sehr ihnen in der großen Flut der Weltuntergang zusetzt – mit Mühe und Not überleben die beiden ihn doch, nach unglaublichen Abenteuern.
Der Verfasser dieser Geschichte, Sjoerd Kuyper, ist überzeugt – im Blick auf die Welt, in der wir leben, und auf ihre bedrohte Zukunft:
„Die Sündflut ist eine Tatsache, das ist wohl klar. Und auch dass wir dies durch unsere Gier und Zerstörungswut selbst verursacht haben“.
Und was er in seinem Buch einmal Opa Leon sagen lässt, das denkt er auch selbst:
“Meiner Meinung nach bereut die Evolution mittlerweile, dass sie denkende Tiere wie den Menschen hat entstehen lassen und ist gerade dabei, diesen Fehler in zügigem Tempo zu korrigieren“.
Fragen über Fragen! Um damit zu leben: Kann uns dabei das Evangelium von heute helfen? Es erzählt eine kleine Geschichte, die Geschichte einer Frau. Könnte ich mich doch an sie wenden! Dann würde ich ihr gern sagen: Du hast deine Hoffnung nicht verloren. Wie war das möglich? Von ihr, deiner Hoffnung, geführt findest du in der Begegnung mit Jesus Heilung von deiner qualvollen Krankheit, nach langer vergeblicher Suche. Schließlich erfährst du doch am eigenen Leib, wovon das Buch der Weisheit überzeugt ist: „Gott hat den Tod nicht gemacht“. Er hat „keine Freude am Untergang der Lebenden“.
Diese Frau, die Jesus so tief vertraut – in meinem Gespräch würde ich gern noch hinzufügen: Heilung suchen und finden – aus eigener Erfahrung weiß ich davon bisher ziemlich wenig. Heilung herbeisehnen, mit ganzer Kraft, und schließlich vielleicht nur noch voller Verzweiflung – das brauchte ich bisher nicht. Noch nicht? Du aber, die eingekeilt in der Menge sich schließlich doch noch Jesus nähern kann, von hinten – du hast lange zu den unzählig vielen gehört, die sich damit abfinden müssen: Mein Wunsch nach Heilung strandet, immer wieder. Dann aber ist dir aufgegangen: Gottseidank, es gibt nicht nur die Genesung, die ich vor Augen habe. Heilsames, das sich mir anders nähert, ist längst unterwegs zu mir. Bevor Jesus spürt, dass von ihm eine Kraft ausströmt, fühltest du dich von ihr schon angezogen. Da wusstest du: „Wenn ich auch nur sein Gewand berühre, werde ich geheilt“ (Markus 5,27f). So ist sie dir begegnet, Gottes Allmacht, die heraufsteigen lassen kann aus der Totenwelt, wie Psalm 30 sagt (Psalm 30,4, Zwischengesang). Mitten im Gedränge weitet sich dir deine Gefangenschaft zum Lebensraum, offen und festlich. Für Befreiungen wie diese hat das Psalmgebet an seinem Schluss bereits die richtigen Worte gefunden: „Du hast mein Klagen in Tanzen verwandelt“ (Psalm 30,12a).
Du, namenlose Frau, hattest ein Gespür für die besondere Begabung Jesu. So konnte er dich, wie es auch unzählig viele andere erfahren haben, im Vorbeigehen zur Glaubenszeugin machen, ganz beiläufig. Erst bemerkte sogar er es nicht, war dann aber auch selbst überrascht, tief berührt und hocherfreut.
Du wolltest keinen Auftritt, und sicher nicht einen so großen, wie er dir dann zugefallen ist. Mittlerweile erleben sogar wir ihn ja mit. Das Wesentliche hat sich aber in dem ereignet, was du fühltest, und was daraufhin auch Jesus aufgeht. Das Heil in ihm – das konnte schon ausströmen, als er noch nicht wusste, dass du dich darauf zubewegtest, mit deiner Erwartung, Hoffnung gegen alle Hoffnung.
So konnte der Überfluss von Gottes Freigebigkeit Zugang finden, konnte strömen. Er hebt den Mangel auf, ein Ausgleich soll entstehen. Damit, wer wenig hat, nicht zu wenig hat (2 Korinther 8, 13c.14a.14c.15c – 2. Lesung).
Schwestern und Brüder! Jesu Botschaft ist auch deswegen Frohe Botschaft, weil sie Gestalt annimmt in Menschen – wie in dieser anonymen Frau. Diese große Glaubenszeugin – gut, dass Markus uns heute wieder von ihr erzählt hat. Nur zehn Wörter sind von ihr überliefert. Aber die hat niemand gehört, nur sie. Denn was sie zu sagen hatte, hat sie zu sich selbst gesagt: „Wenn ich auch nur sein Gewand berühre, werde ich geheilt“ (Markus 5,27f).
„Heilbringend sind die Geschöpfe der Welt“ (Weisheit 1,14b). Dieser Satz aus der ersten Lesung spricht auch von uns. Auch uns erfüllt die Kraft, die gut tut, die heilt. Dieses Gottesgeschenk, diese Kraft in uns möchte da nicht bleiben – sondern sich entfalten, im Ausströmen.
Gott Dank, jede und jeder von uns kann von sich sagen:
Segen geht von mir aus.
Aber ich brauche ihn auch, Segen.
Wenn das so ist – dann können wir jetzt diese beiden kleinen Sätze miteinander teilen.
Ich spreche sie vor, damit sie vielstimmig werden können:
Segen geht von mir aus.
Aber ich brauche ihn auch, Segen.
Es könnte noch weiter gehen – etwa so:
Segen geht von dir aus.
Aber du brauchst ihn auch, Segen.
Segen geht von uns aus.
Aber wir brauchen ihn auch, Segen.
Segen geht von euch aus.
Aber ihr braucht ihn auch, Segen.
Schlusswort
In der Mitte der Heilungsgeschichte unseres heutigen Evangeliums steht der Satz:
„Und sofort versiegte die Quelle des Blutes und sie spürte in ihrem Leib, dass sie von ihrem Leiden geheilt war“ (Markus 5,29). –
Aber da gibt es immer noch diese andere Quelle des Blutes. Sie ist noch nicht versiegt: Menschen, wir Menschen, vergießen Blut, unschuldiges Blut.
Wie wird die Menschheit aufatmen, wenn diese Quelle des Blutes endlich versiegt ist und sie, die Menschheit, spürt, dass sie von ihrem Leiden geheilt ist!
Wenn das geschieht, wird dazu auch unser Glauben, Hoffen und Lieben im Geist Jesu beigetragen haben.
Seine Heilkraft hat Jesus ja seiner Gemeinde anvertraut. Darüber freuen wir uns, das haben wir gefeiert. Jetzt spricht Gott im Segen sein Schlusswort, auch durch uns.
Heinz-Georg Surmund