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Greven, St. Martinus, St. Josef, St. Marien, 24.01.

3. Sonntag i. Jk. 2021

Greven, St. Martinus, St. Josef, St. Marien, 24.01.
 

Einführung

Vor einer Woche habe ich einen Sonntagsgottesdienst in Münster gefeiert. Danach kam eine Frau zu mir. Sie wollte sich vor allem bedanken, sagte dann aber noch: „Nur am Schluss, da war ich nicht ganz einverstanden. Sie haben als Liturgie die Hände erhoben, den Segen ausgesprochen und gesagt: ‚Der Herr segne euch, lasse sein Antlitz über euch leuchten, schenke euch Heil!‘ Könnten Sie nicht auch sagen: ‚Der Herr segnet euch, er lässt sein Antlitz über euch leuchten, er schenkt euch Heil!‘?“ Und dann stellten wir uns vor: Wäre es nicht noch schöner, wenn wir alle als Kinder Gottes, als Schwestern, Brüder, unser Vertrauen auf den Segen aussprächen, und mit ausgestreckten, geöffneten, empfangenden Händen sagten: „Der Herr segnet uns, er lässt sein Antlitz über uns leuchten, und schenkt uns Heil“? Ein solches Vertrauen, liebe Gemeinde, hat uns jetzt hier zusammengebracht. Und wie wir auch über Gottes Zuwendung sprechen – sie wird viel größer, viel wunderbarer sein, als wir uns je vorstellen können. Wenn wir gleich aufstehen, um uns im Kyrieruf Gottes Barmherzigkeit anzuvertrauen, geschieht nicht nur dies: Wir stehen auf – sondern auch, und noch mehr: Wir werden aufgerichtet. Denn wer hätte sich das Aufstehen selbst besorgt?

 

Lesung (Jona 3,1 – 5.10)

Das Wort des HERRN erging an Jona: Mach dich auf den Weg und geh nach Ninive, der großen Stadt, und rufe ihr all das zu, was ich dir sagen werde! Jona machte sich auf den Weg und ging nach Ninive, wie der HERR es ihm befohlen hatte. Ninive war eine große Stadt vor Gott; man brauchte drei Tage, um sie zu durchqueren. Jona begann, in die Stadt hineinzugehen; er ging einen Tag lang und rief: Noch vierzig Tage und Ninive ist zerstört!
Und die Leute von Ninive glaubten Gott. Sie riefen ein Fasten aus und alle, Groß und Klein, zogen Bußgewänder an.
Und Gott sah ihr Verhalten; er sah, dass sie umkehrten und sich von ihren bösen Taten abwandten. Da reute Gott das Unheil, das er ihnen angedroht hatte, und er tat es nicht.


Evangelium (Markus 1, 14 – 20)

Nachdem Johannes der Täufer ausgeliefert worden war, ging Jesus nach Galiläa; er verkündete das Evangelium Gottes und sprach: Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium! Als Jesus am See von Galiläa entlangging, sah er Simon und Andreas, den Bruder des Simon, die auf dem See ihre Netze auswarfen; sie waren nämlich Fischer. Da sagte er zu ihnen: Kommt her, mir nach! Ich werde euch zu Menschenfischern machen. Und sogleich ließen sie ihre Netze liegen und folgten ihm nach. Als er ein Stück weiterging, sah er Jakobus, den Sohn des Zebedäus, und seinen Bruder Johannes; sie waren im Boot und richteten ihre Netze her. Sogleich rief er sie und sie ließen ihren Vater Zebedäus mit seinen Tagelöhnern im Boot zurück und folgten Jesus nach.


Predigt (Jona 3,1 – 5.10; Markus 1,14 – 20)

„Nein! Lass mich! Ich will nicht!“ So wehrt sich nicht nur Jona, von dem gerade unsere Lesung erzählte. Die Geschichte von Jona – kurz ist sie, nur zwei Seiten in der Bibel, und spannend vom ersten bis zum letzten Buchstaben. Wir hörten jetzt nur einen kleinen Ausschnitt. Sich selbst im Weg stehen, gnadenlos konsequent – darauf versteht Jona sich meisterlich. Aber dann, obwohl er bis zum Ende der Welt davor geflohen ist, holt sein Auftrag ihn doch ein. Er soll Ninive, die Großstadt, die er ganz und gar verachtet, auf den rettenden Ausweg hinweisen. Schließlich tut er es, überwindet mit Mühe seinen Widerwillen. Ganz knapp entgeht Ninive daraufhin noch der drohenden Katastrophe. Und Jona? Freut er sich mit? Nein. „Lass mich! Ich will nicht!“ Wie es Ihnen geht, weiß ich nicht. Aber so krass widerspenstig sein – das habe ich noch nicht gewagt. Allerdings erinnere ich mich nicht mehr an meine Kleinkind-Trotzphase. Aber natürlich, noch jetzt, auf meine alten Tage, erkenne ich auch mich selbst immer noch wieder in diesem Querkopf Jona, diesem verbiestert eigensinnigen, engstirnigen Propheten.

Ganz anders, aufgeschlossen, großzügig, tritt Jesus in die Öffentlichkeit. „Die Zeit ist reif, ist erfüllt” – die Einladung, die er da überbringt: Das ist er, ganz und gar. Woher nimmt er den Mut? Hatte die Staatsgewalt nicht gerade Johannes, den bewunderten Täufer, festgenommen?

Jesus lässt sich nicht einschüchtern. Aller Welt verkündet er Gottes Wohlwollen: „Kehrt um, und glaubt an das Evangelium, die Frohe Botschaft!“. Diese befreiende Umkehr verkündet Jesus nicht nur in Worten. Sie ereignet sich in seinem Tun und Lassen.
Damit beginnt eine Umwandlung, in die Jesus gern alle einbeziehen will. Mitwirken sollen sie. „Kommt her“, sagt er, „folgt mir nach!“, „ich werde euch zu Menschenfischern machen”.

Ein Menschenleben retten in einer hochdramatischen Aktion – die meisten von uns, auch ich, mussten eine solche Herausforderung noch nicht bestehen. Aber um lebendig zu sein, noch lebendiger zu werden – da sind wir ständig im Einsatz. Denn wer könnte im Alleingang zur Welt kommen, wachsen, sich entfalten? Niemand von uns erschafft und erhält sich selbst, tagaus tagein, durch all die Jahre hin. Wir existieren, weil wir das Leben teilen. Tun wir das nicht, sägen wir den Ast ab, auf dem wir sitzen.

Trotzdem: Auch mich, auch uns blockiert gelegentlich wie Jona eine merkwürdige Abneigung. Dann folgen auch wir der Devise: die Anderen – was gehen die mich an? Leben wollen sie, glücklich werden, sich freuen? Nur zu, das ist ihre Sache! Sie können mir gestohlen bleiben – erst recht, wenn sie mir fremd, befremdlich vorkommen. –
„Menschenfischer? Ich? Nein danke!“
Schwestern, Brüder, was wir uns von dieser Weigerung auch versprechen – auf ihr ruht kein Segen. Das wissen wir. Wir erfahren es täglich. Aber: So auf Distanz gehen – Gott nimmt das nicht hin. Das lässt er sich nicht bieten. Nicht von Jona. Nicht von uns.

„Ich habe dich gerufen. Teilnehmerin, sein, Teilhaber, das kannst du! Mach was draus!“ Das hat der Schöpfer hat uns in die Seele geschrieben. Diesen Impuls kannst du so wenig entbehren wie Atem und Herzschlag. Mit Teil-nehmen, mit Teil-haben tust du also nicht zuerst anderen einen Gefallen. Du selbst bist es, der das braucht, davon lebt.
Teilnehmen, Teilhaben – das ist die beste „gute Besserung“, die es gibt! Werden wir uns die entgehen lassen?

Das Leben teilen – wie viele haben sich in dieser Zeit der Pandemie ganz neu dadurch herausfordern lassen. Wie haben sie sich dafür eingesetzt, buchstäblich darum gerungen – und tun es weiterhin!
Und es ist gut, dass mitten in dieser weltweiten Bedrohung, die noch nicht überstanden ist, der neue amerikanische Präsident Joe Biden bei seiner Amtseinführung am vergangenen Mittwoch in Washington sagte: Gemeinsam können wir eine „Geschichte der Hoffnung, der Einigkeit und des Lichts schreiben – nicht eine der Angst, der Zwietracht, der Dunkelheit. Eine Geschichte des Anstands und der Würde, der Liebe, des Heilens, der Größe und Güte.“
Das waren nicht nur Worte eines Politikers. Hier sprach auch ein Mann, dem sein Glaube, christlicher Glaube, katholischer Glaube, Halt ist, Halt geblieben ist – auch in finsteren Zeiten voller Unglück, Not und Ausweglosigkeit. Aber in all dem ist der Wunsch nicht untergegangen, Teilhaber zu sein, und andere dazu einzuladen.

Diese Veranlagung beseelt ja Gottseidank nicht nur uns Menschen. Sie lebt auch in der Kornähre auf dem Feld, im Spatzen auf dem Zweig, und so wunderbar vielfältig in all den andern Geschöpfen auf unserer Erde. Zusammen säen und ernten, befreit werden zu gemeinsamer Freude – darum geht es. Das ist Leben!

Teilnehmen, Teilhaben – wie schöpft Jesus da aus dem Vollen! Als Simon, Andreas, Jakobus und Johannes das aufgeht, da zögern sie nicht. Auch uns reicht er, Jesus, die Netze an – die anderen, Netze für Menschenfischer. „Seid barmherzig“, wünscht der Mann aus Nazareth uns, seid barmherzig, „wie es auch euer Vater ist! Richtet nicht, dann werdet auch ihr nicht gerichtet. Verurteilt nicht, dann werdet auch ihr nicht verurteilt. Erlasst einander die Schuld, dann wird auch euch die Schuld erlassen wer-den. Gebt, dann wird auch euch gegeben. In reichem, vollem, gehäuftem, überfließendem Maß wird man euch beschenken; denn nach dem Maß, mit dem ihr messt und zuteilt, wird auch euch zugeteilt werden“ (Lk 6,36 - 38).

So reif soll die Zeit sein, so erfüllt, dass die Einladung ergeht: „auch wer nichts hat soll kommen!“ (Jes 55,1). Dieses großherzige Angebot verkörpert Jesus. Das kann auch mein Tun und Lassen verwandeln.

Gott! Unsere verpassten und verpatzten Chancen bringen dich, allmächtig Barmherziger, nicht in Verlegenheit. Du wirst sogar nicht kapitulieren, wenn ich nur noch dies eine anzubieten habe: nichts. Wenn niemand anders mehr zur Stelle ist als sie, meine Armut – dann wird sie es sein, die mir die Tür öffnet. Von ihr, meiner Armut, begleitet, bin ich erst recht willkommen. Wir dürfen eintreten, werden eingehen in deine Fülle, Gott. Das reiche, das volle, das gehäufte, das überfließende Maß –
das schöpfst du aus dem Nichts.
Nichts leichter als das. Nichts lieber als das.

Vor der Kommunion

Als am 21. Januar vor dem Kapitol in Washington Joe Biden und Kamala Harris vereidigt wurden, trug die 22-jährige Afro-Amerikanerin Amanda Gorman das Gedicht vor, das sie für diesen Anlass verfasst hatte. Sie beendete es mit diesen Worten:
„Es gibt immer Licht, / wenn wir nur mutig genug sind, es zu sehen, /
wenn wir nur mutig genug sind, es zu sein.“

Augustinus sagt: „Empfangt, was ihr seid: Leib Christi.
Und werdet, was ihr empfangt: Leib Christi“.


Schlusswort

Dies ist die Zusage, die jede und jeden von uns in Leben gerufen hat:
„Du bist ein Segen. Ein Segen sollst du sein.“
Wir hoffen: Das wird am Ende dieses Lebens noch einmal bekräftigt.
Dann soll der Segen, der du warst, aufgehen in vollem Glanz.
Strahlen wirst du wie nie zuvor in Gottes ewiger Herrlichkeit.
Denn der allmächtig barmherzige Gott hört nie auf uns zu segnen,
der Vater, der Sohn, und der Heilige Geist.


Heinz-Georg Surmund

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