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Greven, St. Martinus, 02.04.

Karfreitag 2021

Greven, St. Martinus, 02.04.
 
 
Predigt
 

„Am Anfang der Stall – am Ende der Galgen: Jesus von Nazareth“ – so lautet der Titel einer Übersetzung des Matthäusevangeliums von Walter Jens. „Am Anfang der Stall – am Ende der Galgen“. Wie sollen wir ihn begehen, diesen Karfreitag? Es ist schon der zweite, über dem der Todes-Schatten von Corona liegt – der Pandemie mit globalen Ausmaßen, wie die Vereinten Nationen vor gut einem Jahr feststellen mussten.
Ebenfalls global, rund um unsere Erde, begehen wir heute, als Teil einer weltweiten Gemeinschaft, Jesu Todestag. Die Erinnerung an ihn – wie lebt die wieder auf – gerade jetzt, in unserer Welt voller ungelöster Probleme und zunehmender Gefährdungen! Gibt es ein anderes Todesgedenken wie dieses, Jesu Karfreitag? Gibt es ein anderes Todesgedenken, das so unbeirrbar Lebenszeichen bleibt, immer von neuem – jetzt auch hier, in dieser Gemeinschaft, für uns?
Auf dem Boden vor dem Altar unserer Kirche steht heute ein Sarg. Der Sarg ist leer. Dieser kurze Satz kann in uns eine ganz ähnliche Aussage zum Klingen bringen. Wir brauchen nur das zweite der vier einsilbigen Wörter durch ein anderes zu ersetzen, und dann stellt sie sich ein, die Melodie. Ich singe sie nicht, ich summe sie nur – die ersten vier Töne: („Das Grab ist leer…“). Ja, auch unser Gemeindegesang steht unter Lockdown-Verschluss. Davon ist nicht nur, wie schon im Vorjahr, dieses Osterlied betroffen: „Das Grab ist leer“.

Aber noch einmal zurück zu dem Sarg hier bei uns vor dem Tisch Jesu! Leer und so einfach wie er gestaltet ist scheint er mir noch gar nicht eindeutig darauf festgelegt zu sein, auf dem Friedhof begraben zu werden. Die obere und untere Hälfte sind Hohlräume, die viel in sich aufnehmen können. Nebeneinandergestellt, nach oben offen, ließen sie sich unterschiedlich verwenden – die eine vielleicht als Spielkiste in der Kita, die andere als Futter-Trog, als Krippe. Darauf komme ich zum Schluss noch einmal zurück.

Die Liturgie unserer Kirche sagt: Wir begehen, wir feiern „die drei österlichen Tage vom Leiden und Sterben, von der Grabesruhe und der Auferstehung des Herrn“. „Feiern?“ „Drei österliche Tage“? Als ich jung war, sträubte sich etwas in mir, auch den Gedenktag des Leidens und des Sterbens Jesu als österlichen Tag zu sehen. Nein, fand ich. Was am Karfreitag geschehen ist, was in dieser Welt voller Karfreitage geschieht und weiter geschehen wird, demnächst sogar noch schlimmer als bisher, möglicherweise – das ist doch vor allem, das ist doch nur furchtbar! Den Sterbetag Jesu zum österlichen Tag erklären – wie kann man nur! Wenden wir uns damit nicht ab von ihm, zu schnell, zu leichtfertig, und auch von all den anderen Zu-Tode-Gefolterten? Ein Osterjubel, der Leidende ausschließen, sich selbst überlassen möchte – eine solche Auferstehungsfreude wäre doch ein heilloser Widerspruch in sich.
Nun wurden die ersten Gedenktage des Leidens und Sterbens Jesu von seinen Lebensgefährtinnen und Lebensgefährten begangen. Da hatte sich in ihnen der Osterglaube schon durchgesetzt – zuerst mühsam, dann aber immer froher und mutiger. Alles Ach und Weh, alles Wenn und Aber war verwandelt. Menschen, die mit Jesus gelebt, ihn erlebt hatten, auch sein schreckliches Ende – ihnen erscheint im Licht des Osterglaubens sogar dieses Fiasko, Jesu schlimmer Tod, in anderer, in neuer Gestalt. Sogar er, Jesu Tod, tröstet und erhebt – an erster Stelle diejenigen, die Jesus seine geringsten Schwestern und Brüder nennt. Besonders ihnen gibt er Hoffnung. Denn sie, die Notleidenden, tragen, wie Paulus sagt, immer das Todesleiden Jesu an ihrem Leib, damit auch das Leben Jesu an ihrem Leib sichtbar wird (2 Korinther 4,10). Todesleiden, aus dem Leben hervorgeht, ja sogar das Leben der Welt – das geschieht, sagen die ersten Zeuginnen und Zeugen, im Leiden und im Sterben Jesu – und nicht nur da!

Die Evangelien beschreiben dann auch die drei österlichen Tage vor allem so: Als eine einzige, sich endlos hinziehende Todesnacht. Sie beginnt mit dem Abendmahl, dem letzten. Das ist zwar selbst Beginn, erstes Erscheinen von Jesu Gegenwart bis zum Ende der Zeiten – im Brechen seines Brotes, im Empfangen und im Weiterreichen seines Kelches. Aber gleich danach setzt Jesu verzweifelte, einsame Gottsuche ein, in den Nachtstunden vor seiner Gefangennahme. Hier schon überfällt ihn die Finsternis. Bald, mitten am Tag, bricht sie über das ganze Land herein, während der drei Stunden Todeskampf am Kreuz (Markus 15,33; Matthäus 27,45; Lukas 23,44 - 45). Und als schließlich der Todesschrei Jesu zu hören ist, wird es gerade Abend (Markus 15,42). Dann setzt das Grabesdunkel ein. Es bestimmt die folgende Nacht, den anschließenden Tag und wieder eine Nacht. Dann, in der Morgendämmerung, hören die Frauen am Grab die Frage: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“ (Lukas 24,5).

Diese Wende vollzieht sich in Frauen. Das bleibt aufschlussreich und wegweisend – sicher auch für unsere Kirche in ihrer gegenwärtigen Krise. Gott bringt in Frauen den Auferstehungsglauben zur Welt – daraufhin kann anderen Menschen auf ihren Glaubenswegen aufgehen: Auch wir können nicht anders. Wir können nicht trauern „wie die, die keine Hoffnung haben“ (1 Thessalonicher 4,13). Jesu Todesgedenken erweckt uns zum Leben, zur Hoffnung. Über unsere „Freude und Hoffnung“, über unsere „Trauer und Angst“ geht Jesu Tod in die Weltgeschichte ein, als Durchbruch zum Leben.
Schon der Prophet Jesaja hatte sich so viel versprochen von diesem Vakzin: „Durch seine Wunden sind wir geheilt“ (Jesaja 53,5). Diese Erfahrung wird im Sterben Jesu nicht nur bestätigt. Von ihm aus breitet sie sich aus. Und es sind nicht nur Jesu Wunden, die retten und heilen.
Leben und Sterben für das Leben der Welt – so einzigartig sich das in Jesus ereignet hat, vom Stall bis zum Galgen, von der Krippe bis zum Kreuz – auch meinem, auch unserm Leben und Sterben hat Gott diese Ausrichtung mitgegeben, dieses sehnsüchtige Heimweh nach Heil. Ja, dieses Gottesgeschenk ist jeder und jedem in die Wiege gelegt. Du bist ein Segen. Ein Segen sollst du sein. Und der Segen, der du bist: Der ist für dich, ist dein – und zugleich ist er dir anvertraut als Segen für das Leben der Welt.
Menschen in der Nachfolge Jesu, Frauen, Männer, Kinder – wie viele haben daran mitgewirkt, dass sogar der Karfreitag dies sein kann: Österlicher Tag! Zu ihnen gehört auch ein Glaubender wie Paul Gerhardt. Sein Gedicht „Ich steh an deiner Krippe hier“ schrieb er im Jahr 1653, also in einer völlig ruinierten Welt, fünf Jahre nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges. Johann Sebastian Bach hat den Text 83 Jahre später vertont (Gotteslob Nummer 265). An welche traumatischen Erfahrungen Paul Gerhardt dachte, als er sein Gebet verfasste, ist nicht überliefert. Aber so hat er Jesus angesprochen, in den Nöten seiner Zeit, seines Lebens:
„Ich lag in tiefster Todesnacht, / du warest meine Sonne, die Sonne, die mir zugebracht / Licht, Leben, Freud und Wonne. O Sonne, die das werte Licht / des Glaubens in mir zugericht, wie schön sind deine Strahlen.“
Mit Johann Sebastian Bachs Weihnachtsmelodie zu Paul Gerhardts Versen möchte ich gleich diese Karfreitagsbetrachtung ausklingen lassen. Ich wiederhole die dritte Strophe noch einmal, habe ihren Text dafür aber ein wenig verändert. So nimmt er nicht nur das Jesuskind in der Krippe in den Blick, sondern zugleich Jesus am Kreuz – ihn, über die Erde erhöht, der alle zu sich zieht (Johannes 12,32):
„Du lagst in tiefster Todesnacht, /und wurdest unsre Sonne, die Sonne, die uns zugebracht / Licht, Leben, Freud und Wonne. O Sonne, die das werte Licht / des Glaubens in uns zugericht, wie schön sind deine Strahlen.“
Im Gotteslob sind nur die ersten vier Strophen des Paul-Gerhardt-Liedes abgedruckt. Im Evangelischen Kirchengesangbuch (Nummer 28) fand ich noch fünf weitere. Die letzte, die neunte, lautet so:
„Eins aber, hoff ich, wirst du mir, / mein Heiland, nicht versagen: dass ich dich möge für und für / in, bei und an mir tragen. So lass mich doch dein Kripplein sein; / komm, komm und lege bei mir ein dich und all deine Freuden.“


Heinz-Georg Surmund

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