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Greven, St. Martinus, 09.05.

6. Sonntag der Osterzeit 2021

Greven, St. Martinus, 09.05.
 

Einführung

„Auch ich bin nur ein Mensch“ – das sagt Petrus, heute, in einem Gespräch. „Auch ich bin nur ein Mensch“ – er möchte die Kluft überbrücken, die ihn von einem Fremden trennt, einem Römer, einem Feind. Aber die Liebe, die Liebe aus Gott (1 Joh 4,7), ja, die gilt auch ihm. Und so ist in dieser Begegnung dem Petrus trotz aller unüberbrückbaren Gegensätze aufgegangen: „Wahrhaftig, jetzt begreife ich, dass Gott nicht auf die Person sieht, sondern dass ihm in jedem Volk willkommen ist, wer ihn fürchtet und tut, was recht ist“ (Apg 10,34 - 35). Auch wir wünschen uns wirkliche Begegnungen, gute, aufschlussreiche. Darin möchten auch wir die Liebe Gottes neu entdecken – damit sie uns wieder erfasst – und verwandelt.

 

Erste Lesung (Apostelgeschichte 10,25 - 26.34 - 35.44 - 48)

Als Petrus in Cäsarea ankam, ging ihm Kornelius entgegen und warf sich ihm ehrfürchtig zu Füßen. Petrus aber richtete ihn auf und sagte: Steh auf! Auch ich bin nur ein Mensch. Da begann Petrus zu reden und sagte: Wahrhaftig, jetzt begreife ich, dass Gott nicht auf die Person sieht, sondern dass ihm in jedem Volk willkommen ist, wer ihn fürchtet und tut, was recht ist. Noch während Petrus dies sagte, kam der Heilige Geist auf alle herab, die das Wort hörten. Die gläubig gewordenen Juden, die mit Petrus gekommen waren, konnten es nicht fassen, dass auch auf die Heiden die Gabe des Heiligen Geistes ausgegossen wurde. Denn sie hörten sie in Zungen reden und Gott preisen. Petrus aber sagte: Kann jemand denen das Wasser zur Taufe verweigern, die ebenso wie wir den Heiligen Geist empfangen haben? Und er ordnete an, sie im Namen Jesu Christi zu taufen. Danach baten sie ihn, einige Tage zu bleiben.

 

Evangelium (Johannes 15,9 - 17)

Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe! Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben, so wie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe bleibe. Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird. Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, so wie ich euch geliebt habe. Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt. Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage. Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe. Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt. Dann wird euch der Vater alles geben, um was ihr ihn in meinem Namen bittet. Dies trage ich euch auf, dass ihr einander liebt.

 

Predigt (Apostelgeschichte 10,25 - 26.34 - 35.44 - 48; 1 Johannes 4,7 - 10; Johannes 15,9 - 17)

Einander ehren, Ehre erweisen – das gehört zu den Grundnahrungsmitteln wie Milch und Brot. Wertschätzung: Wie sehr, so sehr sind wir alle darauf angewiesen! Dabei geht es gar nicht nur und nicht in erster Linie um die Anerkennung unserer Leistungen. Derartiges, Leistungen, hatten wir ja als Neugeborene gerade nicht vorzuweisen – und doch wurden wir empfangen als große Freude, wurden ohne Vorleistung an- und aufgenommen. Wir wurden nicht nur geehrt – nein, dabei blieb es nicht, das wäre zu wenig gewesen. Sie trugen uns auf Händen. Und zeigt sich in dieser Erfahrung am Anfang unseres Lebens nicht auch: Dass ein Mensch ein Schatz ist, von unermesslichem Wert – das liegt nicht daran, dass wir Menschen das so sehen und beurteilen. Das erste Wort und das letzte hat auch hier der Schöpfer von Himmel und Erde. Als er erste Menschen erschaffen, als er dieses Werk vollendet hat, da sieht er, dass es gut ist, sogar sehr gut (Gen 1, 31). Dieses Urteil, in höchster Instanz ergangen und unwiderlegbar, bestimmt auch den Wert aller Nachkommen der ersten Menschen, auch von uns, von euch und von mir.

Die Zustimmung Gottes, diese erste grundlegende Wertschöpfung und Wertschätzung – das ist der Boden, auf dem wir alle stehen. Der Kraft dieser Zustimmung brauchte ich mich eigentlich nur anzuschließen. Wie kommt es nur, dass mir das oft nicht gelingt, schlimmer noch: dass ich es sogar oft gar nicht will? "Ach, Gott und Vater, lieber Schöpfer!“, kann ich dann nur sagen, „könnte ich doch nur die Menschen neben mir schätzen wie du! Und hier ist dann gleich noch mein anderer Wunsch, wie oft bleibt auch der unerfüllt: Wenn doch die Menschen neben mir mich so schätzen könnten wie du! Ach, Gott und Vater, lieber Schöpfer!"

Vor knapp zwei Wochen, am 27. April, schrieb der Münchner Kardinal Marx in einem Brief an den Bundespräsidenten Steinmeier: „Meine große Bitte an Sie ist, die Auszeichnung nicht vorzunehmen“. Dem früheren Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz sollte drei Tage später, am 30. April, der Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland überreicht werden. Jetzt dankte Kardinal Marx für die „hohe Ehre der Verleihung“, und auch dafür, dass das Staatsoberhaupt daran festgehalten hatte, wertschätzend und wohlwollend, „auch in Reaktion auf die öffentliche Kritik“. Aber der Kardinal wollte den Widerspruch von Menschen sehr ernstnehmen, „die von sexuellem Missbrauch im Raum der Kirche betroffen sind“. Deshalb verzichtete er darauf, das Großkreuz am Schulterband entgegenzunehmen (https://www.erzbistum-muenchen.de/news/bistum/Meine-grosse-Bitte-an-Sie-ist-die-Aus-zeichnung-nicht-vorzunehmen-39306.news).

„Auch ich bin nur ein Mensch" – so hatte Petrus die Distanz überbrückt, die Distanz zwischen ihm, dem jüdischen Christen und dem römischen Hauptmann der haushoch überlegenen Besatzungsarmee. Trotz aller Fremdheit, über alle Gegensätze hinaus spüren sie: Zugleich und noch viel mehr sind wir verwandt, sogar vertraut, wirklich nah, sogar Nächste. Denn es gibt eine ganz wesentliche Gemeinsamkeit. Die verbindet uns. Wie schön ist sie, und wie stark! "Auch ich bin nur ein Mensch" – das kam, scheint mir, zum Vorschein, als Kardinal Marx seinen Verzicht auf die hohe Auszeichnung erklärte und begründete. Gut, dass er sich nicht einfach über die Proteste hinweggesetzt hat, sich nicht in einer ansehnlichen Limousine zum Präsidenten im Schloss Bellevue bringen ließ. Lieber wollte er sich so zeigen, wollte so wahrgenommen werden: Auch ich bin nur ein Mensch. Dies, ein Mensch sein – ist das nicht immer mehr als genug? Petrus sagt: Gott sieht nicht auf die Person, sondern ihm ist in jedem Volk willkommen, wer ihn fürchtet und tut, was recht ist (Apg 10,34-35).

Jede und jeden willkommen heißen, wie Gott es tut: Wie könnte uns das die Augen öffnen! Dann würden wir mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit ganzem Denken und ganzer Kraft (Mk 12,30) erkennen: Mit wie viel Hingabe, mit welcher Freude wurde Alles, wurden Alle erschaffen! Jesus ist gelungen, wonach jedes menschliche Herz sich so sehnt: Zu lieben, wie der Vater geliebt hat (Joh 15,9). Und in seiner Liebe bleiben, der Liebe des Vaters – das führt, sagt Jesus, zur Freude, zur vollkommenen Freude, zur Freude Gottes. Durch sie, in ihr werden wir befreit, weil wir entdecken: All die Über- und Unterordnungen, Ränge und Positionen, die wir Menschen uns einfallen lassen – all das hat keine wesentliche Bedeutung – und keinen Bestand. Es sind ganz andere Zusammenhänge, ganz andere Beziehungen, die uns wirklich zueinander bringen und miteinander verbinden – zur Freude aller und zum Wohl der ganzen Schöpfung.

Liebe Gemeinde! Ich möchte Sie noch mitnehmen zu einer Straße, einer Nebenstraße im Münsterschen Klinikenviertel. Sie fällt nicht ins Auge, ich habe sie erst kürzlich entdeckt. Bis vor neun Jahren trug sie den Namen eines Medizinprofessors und hieß Jöttenweg. Im Jahr 2012 aber wurde sie umbenannt, hat dabei sogar einen Vornamen bekommen, Paul. Der aber, Paul Wulf, hatte als Kind und Jugendlicher zu den Namenlosen gehört. Ihn hatte man dazu verurteilt, eine Schattengestalt zu sein. Der nationalsozialistischen Menschenverachtung hatte es gefallen, auch ihm, diesem Paul, dieses Kreuz aufzuerlegen, dieses furchtbare Etikett: Lebensunwertes Leben.

Am Beginn der Straße im Klinikenviertel, die früher Jöttenweg hieß, bieten diese beiden Schilder, übereinander angebracht, diese Information, zwei kurz zusammengefasste Lebensläufe. Die erste Überschrift lautet:

 

„Paul-Wulf-Weg

Paul Wulf (1921-1999) stammte aus einer Arbeiterfamilie in Münster, wurde aus wirtschaftlicher Not in Kinderheimen untergebracht und geriet 1932 in eine „Anstalt für Geisteskranke“. Vor der Entlassung 1938 setzte die Anstalt die Zwangssterilisation durch. Ab 1969 leistete Paul Wulf als Opfer des NS-Regimes vielfältige Aufklärungsarbeit zum Nationalsozialismus und zu Zwangssterilisationen. Für sein Engagement erhielt er 1991 das Bundesverdienstkreuz. Die zweite Überschrift lautet:

Jöttenweg

Diese Straße war von 1960 bis 2012 nach Prof. Dr. Karl Wilhelm Jötten (1886-1958) benannt. Jötten war Direktor des Hygienischen Instituts der Universität Münster und anerkannter Wissenschaftler auf dem Gebiet der Staublungenforschung. Die Straße wurde 2012 umbenannt, nachdem bekannt wurde, dass Jötten von 1933 bis 1945 das NS-Regime aktiv unterstützt hat. Seine „rassehygienischen Untersuchungen an Hilfsschulkindern“ trugen zur Legitimation von Zwangssterilisationen an ca. 400.000 Kindern und Jugendlichen bei.“


Am vergangenen Sonntag, dem 2. Mai, waren hundert Jahre vergangen, seit Paul Wulf zur Welt kam. Gut, dass es Menschen gibt, die das Gedenken an ihn lebendig gehalten und dieses Jubiläum öffentlich begangen haben – am Standbild für Paul Wulf, viereinhalb Meter hoch, da kann man zu ihm aufschauen, mitten in der Stadt, auf dem Servatiikirchplatz. Auch da zeichnet sie sich ab, kommt sie zum Vorschein: Die Vorfreude. Die Vorfreude, wiedergeboren zu werden zu neuen Menschen, nach Gottes Bild geschaffen, in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit (Eph 4,24).


Fürbitten 9. Mai 2021

Gott und Vater, lieber Schöpfer! Dein Sohn Jesus Christus ist als Gerechter für Ungerechte gestorben. Sein Körper wurde getötet, „aber dem Geist nach“ wurde er „zum Leben erweckt“ (1 Petr 3,18). Im Vertrauen auf die Kraft, die ihn nicht dem Tod überließ, bitten wir:

 

 

  • ▪ Für alle, die meinen, dass ihre Interessen Vorrang haben, immer und überall. Dadurch werden sie mehr und mehr isoliert, unerreichbar für Gott und für andere Menschen, und schließlich auch für sich selbst.

(Kurze Gebetsstille) V: Gott, „größer als unser Herz“! (1 Joh 3,20b)! A: Wir bitten dich, erhöre uns!

  • ▪ Für Menschen, vor allem für Kinder und Jugendliche, die hungern und dürsten nach Aufmerksamkeit, nach Anerkennung, nach Wertschätzung.

(Kurze Gebetsstille) V: Gott, größer als unser Herz A: Wir bitten dich, …

  • ▪ Für alle Gemeinschaften und Vereinigungen in unserer Stadt. Da tun Menschen sich zusammen, setzen sich ein für gemeinsame Ideale und Ziele. Auch auf solchen Wegen sucht Gottes Liebe uns Menschen auf.
  • (Kurze Gebetsstille) V: Gott, größer als unser Herz! A: Wir bitten dich, …
  • ▪ Für Menschen, die ein besonderes Gespür haben für Beziehungen, die uns wirklich zueinander bringen und miteinander verbinden – zur Freude aller und zum Wohl der ganzen Schöpfung.

(Kurze Gebetsstille) V: Gott, größer als unser Herz! A: Wir bitten dich, …


Gott und Vater, lieber Schöpfer! Wir danken dir, besonders für Jesus. Unsere Freude über ihn, unsere Hoffnung über ihn, unser Weg mit ihm – alles das verbindet uns mit ihm.

 

Zum Friedensgruß

„Auch ich bin nur ein Mensch“. Jede und jeder kann sich in diesem kleinen Satz wiedererkennen. Schön ist das, da sind wir uns einig. Und wir wissen auch: Mensch sein, wirklich nur Mensch – da haben wir zwar bisher noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft – bei weitem nicht. Aber Gott sei Dank: Noch ist nicht aller Tage Abend. Unsere Menschwerdung ist noch nicht abgeschlossen. Und wer könnte uns da besser ermutigen als er, der sagt – über seinen Tod hinaus, über unser aller Tod hinaus: „Friede sei mit euch!“


Schlusswort

Da sind zwei Menschen, und die Völker, zu denen sie gehören, sind verfeindet. Aber dann entdecken die beiden Männer doch eine Gemeinsamkeit, die viel tiefer reicht, viel grundlegender ist. Solche Sternstunden sind selten. Aber es gibt sie. Und auch andere schöne Überraschungen – ebenfalls erfreulich, mutmachend. Ich wünsche Ihnen einen schönen Sonntag und eine gute Woche!

Heinz-Georg Surmund

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