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Greven, St. Josef, St. Marien, St. Martinus, 23.01.

3. Sonntag i. Jk. 2022

Greven, St. Josef, St. Marien, St. Martinus, 23.01.
 

Einführung

Persönlich und freundschaftlich beginnt Lukas sein Buch, sein Evangelium: „Für dich, Theophilos, habe ich alles aufgeschrieben. ‚So kannst du dich von der Zuverlässigkeit der Lehre überzeugen, in der du unterwiesen wurdest‘“ (Lk 1,4).

Theophilos las als erster. Mittlerweile haben aber neben ihm unermesslich viele Menschen Platz genommen. Wie groß ist der Kreis derer geworden, die sich ansprechen lassen! Jetzt sind wir hier zusammen – auch wir möchten noch tiefer überzeugt werden von der Zuverlässigkeit unseres Glaubens – damit uns neu aufgeht:
„Ja, unseretwegen wurde es geschrieben“ (1 Kor 9,10) – also auch deinet- und meinetwegen!

 

Predigt (Nehemia 8,2 - 4a.5 - 6,8 - 10; Ps 19,8 - 10,12.15; Lk 1,1 - 4; 4,14 - 21)

Vor fünfzig Jahren bin ich hier in Greven als Berufsanfänger begonnen. Als junger Kaplan – nein, da habe ich nicht darüber nachgedacht, wie die Kirche wohl ein halbes Jahrhundert später dastehen würde. Ich hätte mir nicht vorstellen können, was vor ein paar Tagen geschah, am 19. Januar 2022. Da wurde eine Umfrage veröffentlicht, aus der sich ergibt: Die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche ist weiter gesunken, hat einen Tiefpunkt erreicht. Nur noch 12 Prozent der Menschen in Deutschland haben ein großes Vertrauen in die katholische Kirche (https://www.kirche-und-leben.de/artikel/forsa-um-frage-vertrauen-in-katholische-kirche-auf-dem-tiefpunkt).

Nun hat unsere Kirche in ihrer langen Geschichte schon manche Flauten, Zusammenbrüche, Katastrophen erlebt – und schlimme, schwerwiegende Fehler begangen. Sie ist in all dem nicht steckengeblieben, weil Gläubige immer wieder neuen Halt suchten und neuen Halt fanden in der Umkehr zum Fundament des Glaubens, zur Bibel. Sie erwies sich gerade in Krisen als „Heilige Schrift“. Verbunden mit der Wende zu ihr war immer auch diese Umkehr: Zur Gegenwart, zur „Welt von heute“. Denn Antworten von gestern und vorgestern allein reichen nicht aus.

So umkehren – zur Schrift, zur Welt von heute – davon hat sich auch das Zweite Vatikanische Konzil viel versprochen (Pastoralkonstitution!). Deswegen waren wir vor fünfzig Jahren so zuversichtlich, begeistert, voller Erwartung, unternehmungslustig. Aber die für unsere Zeit fällige Umkehr – die blieb dann leider doch in den Anfängen stecken. Sie wurde nicht radikal genug als Chance erkannt und verwirklicht. Auch deswegen belastet und quält die Missbrauch-Krise der katholischen Kirche so viele Menschen.
Aber trotzdem, Gottseidank: Auch heute bildet die aufgeschlagene Bibel den Mittelpunkt unseres Gottesdienstes. Der erste biblische Text dieses Sonntags hat uns zu einer großen Versammlung des Volkes Israel mitgenommen. Es ist gerade aus der Not einer langen Verbannung zurückgekehrt. Zum ersten Mal kann es wieder in Freiheit seinen Glauben feiern. Die Menschen freuen sich darauf, aus ganzem Herzen ihre einzigartige Berufung leben zu können, Volk Gottes zu sein. „Vom frühen Morgen bis zum Mittag las Esra aus dem Buch vor“, dem „Buch der Weisung“.
Diese und andere Geschichten wurden durch Generationen hin Zuhörerinnen und Zuhörern vorgelesen. Dadurch sind auch wir zu Gliedern in der Kette der Weitergabe geworden.

Von Zeit zu Zeit hat es auch bei uns gefunkt – dann haben Worte der Heiligen Schrift uns persönlich angesprochen und berührt. Auch wenn wir uns nicht mehr daran erinnern: Es waren kostbare Augenblicke.

Hier, in unseren Gottesdiensten, erinnern wir uns an Sternstunden der Heilsgeschichte, wie sie die Bibel beschreibt. Hier vergegenwärtigen wir sie uns, beziehen sie auf das Heute unserer Welt und auf ihre Zukunft. Wir möchten gern, dass Gnaden-Momente der Heilsgeschichte ihr Licht fallen lassen auf das, was uns besonders am Herzen liegt: Unser Tun und Lassen, unsere eigenen Lebensgeschichten. Auch wenn sie nie in Buchform erscheinen – jeder Lebenstag fügt Zeilen, Seiten, Kapitel hinzu – und die Nächte mit ihrem Ausruhen und ihren Träumen auch.

Millionen Menschen haben im Zweiten Weltkrieg ihre Heimat verloren. Von äußerer und innerer Zerstörung gezeichnet suchten sie nach einem neuen Zuhause – auch für ihren Glauben. Wie mögen sie nach der Befreiung von der Nazidiktatur die Geschichte vom ersten Auftreten Jesu erlebt haben? Wie konnten sie sich wiedererkennen in diesem Satz des Evangeliums: „Und die Augen aller in der Synagoge waren auf ihn gerichtet“ (Lk 4,20b)? Auch die Begegnung mit Jesus hat im verwüsteten Land Menschen zum Neubeginn aufgerichtet und ermutigt.

In Worten des Propheten Jesaja hatte Jesus als junger Mann eine inspirierende Umschreibung seiner Berufung gefunden. So alt diese Worte waren – an diesem Tag in der Synagoge von Nazareth erkannte Jesus in ihnen seine Sendung: „Der Geist des Herrn ruht auf mir; / denn er hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, / damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde / und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe“ (Jes 61,1 - 2; Lk 4,18 - 19).

Der Weg Jesu, der damit eröffnet wurde, war kurz, aber doch schon vollendet, trotz seines vorzeitigen, gewaltsamen Abbruchs. Da konnten die Zeuginnen und Zeugen nicht anders: Sie mussten festhalten, was sie miterlebt hatten. Lukas gehörte zu denen, die begeisterte Erinnerungen aufspüren, sammeln, ordnen und aufschreiben konnten.

Unser Glaube verbindet uns nicht nur mit den Zeuginnen und Zeugen der Vergangenheit, sondern auch mit denen der Zukunft – mit Zeit- und Lebensräumen, die es noch gar nicht gibt. Aber auch unser Zuhören im Glauben wird dort noch weiterwirken - auch wenn unser Leben, wie das der vielen Zeuginnen und Zeugen vor uns, längst vergangen ist. Unser Glauben heute trägt dazu bei, dass auch dort, in kommenden Lebenswelten, diese Hoffnung aufbrechen kann – und aufbrechen wird: Wir, die Menschheit und die ganze Schöpfung, werden trotz aller Hindernisse und Rückschläge das Ziel erreichen – jenen Sehnsuchtsort, wo unser Leben mit Christus verborgen ist in Gott – und in ihm geborgen (Kol 3,3).
So viele sich auch anstrengen, einsetzen, mit all ihren Kräften – wenn sie getan haben, was möglich war, steht das Entscheidende noch aus. Das Entscheidende? Leider lässt sich das kaum in Worte fassen. Immerhin habe ich einen kurzen, vielsagenden Hinweis gefunden, den gebe ich gern weiter. Der ist vor 800 Jahren Meister Eckhart eingefallen. Er empfiehlt, und heute wird das auch zu seinem Wunsch für uns:

Wer sich auch nur einen Augenblick ganz lassen könnte, dem würde alles gegeben.

 

Schlusswort und Segen

Ein Augenblick, Bruchteil einer Sekunde – der kann es in sich haben. Er kann schenken, worauf wir in Stunden und Jahren vergeblich warteten. Ein Augenblick. Was einem Augenblick anvertraut werden kann – das hat sich Meister Eckhart in diesem Wort angedeutet:
„Wer sich auch nur einen Augenblick ganz lassen könnte, dem würde alles gegeben.“
Der Herr sei mit euch! Gottes Worte erquicken den Menschen, erfüllen das Herz mit Freude, erleuchten die Augen (Ps 19,8 - 10)
Seid nicht traurig und weint nicht! Macht euch keine Sorgen; denn die Freude am HERRN ist unsre Stärke“ (Neh 8,9.10)
So und vielfältig anders segnet uns der gute Gott, der Vater, …

Heinz-Georg Surmund

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