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Greven, St. Martinus, 25.12.

Weihnachten 2022

Greven, St. Martinus, 25.12.

 

Einführung

Es ist nicht irgendeine Zeitenwende im Rahmen unserer menschlichen Geschichte, die sich an Weihnachten vollzieht. Wir feiern dieses Fest jetzt hier bei einer kosmischen Wende, der Wintersonnen-Wende. Immer kürzer wurden in den vergangenen Wochen die Tage, länger die Schatten und dunkler die Stunden. Er schien unaufhaltsam, dieser Trend, jetzt sogar unheimlicher als sonst: Diese Zunahme der Finsternis. Aber jetzt ist sie zum Stillstand gebracht. Nein, mehr noch: Ab jetzt werden die Nächte wieder kürzer, die Tage länger. Die Erde, Wiege allen Lebens, immer in Bewegung, unvorstellbar gewandt im interstellaren Reigentanz, und dabei dreht sie sich noch um sich selbst – sie trägt uns wieder dem Licht entgegen, das zunimmt. Und das begehen wir zugleich mit der Geburtsnacht Jesu. In ihr geht er auf als Sonne der Gerechtigkeit, als das Licht der Welt.

 

Predigt (Jesaja 52,7-10; Lukas 2,15-20)

Es ist ein Stall, der Asyl gewährt. Da legen Eltern ihren neugeborenen Sohn in eine Krippe, eine Futterkrippe. Ein Stall, der Asyl gewährt – auch er spielt mit, trägt das Seine bei. So kann dieses Kind, dieser Beginn seiner Geschichte, nicht nur uns hier miteinander verbinden, sondern unzählig viele Menschen auf der ganzen Erde.

Wir können uns heute auch an einen anderen Anfang erinnern, an die Geburt der Gattung Homo Sapiens vor rund 2,5 bis 2 Millionen Jahren. In ihrem Tasten und Suchen, auf ihrem Weg zu aufrechtem Gang wurde die Erde zur Wiege der Menschwerdung.

Ach ja, Menschwerdung, aufrechter Gang – das bleibt eine Aufgabe, eine Herausforderung, erst recht für uns jetzt in unsern Jahren. Immer schon waren wir Menschen die schlimmste Bedrohung füreinander. Jetzt sind wir sogar zu einer großen Gefahr für unsere ganze Erde geworden, stellen diesen wunderbaren Lebensraum insgesamt infrage. Um dieses Verhängnis noch abzuwenden, müsste die Menschheit sich neu erfinden.

Die Menschheit müsste sich neu erfinden – es bekommt diesem Satz gut, wenn ich ihm ein Wort voranstelle. Dann gehe ich zur Krippe und sage da: Jesus, die Menschheit müsste sich neu erfinden. Dein Vertrauen, dass dies möglich ist, war und ist so groß. Trotz aller Widerstände ist es nicht untergegangen. Immer noch und immer wieder lebt es in Menschen auf. Deshalb feiert alle Welt deinen Geburtstag, wir auch. Die Menschheit müsste sich neu erfinden. Dazu hast du, Jesus, schon Vorschläge gemacht. Könnten wir sie doch neu entdecken, tiefer beherzigen, entschlossener verwirklichen!

Auch du, Jesus, hast die Freude an Gott gekannt, die mitten im Psalm 139 aufgeht wie ein Hoffnungsstern. Wie musst du dich an ihm gefreut haben! Und er, den du Vater nennst, Vater im Himmel, wie hast du ihn geliebt, wie gern hast du ihm gesagt:

 

 

Finsternis voller Verzweiflung, endlose Nächte in Dunkelheit – sie lasten so schwer auf uns Menschen, auf Pflanzen und Tieren. Besonders verfinstert ist Weihnachten in diesem Dezember 2022. Unerbittliche Gewaltherrschaft hat die Ukraine zum Schlachtfeld gemacht.

Aber auch in der Nacht dieses 24. Dezembers wurden dort Kinder geboren. Sie kommen zur Welt, und gleich sind sie umgeben von unerhörtem Mangel, von schrecklicher Armut und großen Gefahren. Wie machtlos erscheint das Leben ihrer Eltern, aus dem sie hervorgehen. Wie bekümmert die Liebe, die sich ihrer annimmt. Aber wie kraftvoll sind sie zugleich, Leben und Liebe in großer Not, erfüllt von allem Segen des Himmels und der Erde!

 

 

Auch wenn wir Menschen sogar an unsern Scheußlichkeiten Gefallen finden können (Jes 66,3c) – trotzdem, Jesus: Dein und unser Gott lässt es sich nicht nehmen, der zu bleiben, der er ist. Wer ist er denn? „Ich, der gebären lässt“, so versteht er sich. So hat er sich Jesaja, dem Propheten, vorgestellt. „Ich, der gebären lässt“ – davon lässt er sich nicht abbringen. Er sagt: „Sollte ich, der gebären lässt, den Schoß verschließen?“ (Jes 66,9b)

 

 

Zum Schluss, am Ende seines kurzen Lebens, war Jesus nur noch dies: Gefangener, Angeklagter, zum Tod Verurteilter, Hingerichteter.

Nur noch dies? Wie kommt es, dass er nicht spurlos verschwunden ist, untergangen im Dunkel der Vergänglichkeit? Das ist doch unzählbar vielen so gegangen, niemand weiß mehr von ihnen – von all den Gefangenen, Angeklagten, zum Tod Verurteilten, Hingerichteten.
Jesus konnte etwas hinzufügen, ihm wurde etwas Wunderbares geschenkt – und dieses Geschenk teilt er gerade mit ihnen, seinen Leidensgenossen. Er hat Abschied genommen – wie es noch niemand vor und nach ihm tun konnte.

„Am Abend vor seinem Leiden nahm er das Brot, segnete es, gab es seinen Freunden mit den Worten“ – die Geschichte, die so beginnt, konnte nicht untergehen. Sie war und ist so gut – sie sorgte und sie sorgt selbst dafür, dass sie nicht in Vergessenheit gerät. Dieser Geschichte, diesem Geschehen verdanken wir, dass der Geburtstag Jesu zum Weltgeburtstag geworden ist. Nicht nur, dass er auch in diesem Jahr und in unzählig vielen weiteren auf unserer Erde gefeiert wird. Jesus verdanken wir auch den Weltgeburtstag, den es noch nicht gibt, nach dem wir uns aber sehnen. Denn wie soll sie zur Welt kommen, die neue Welt in Gerechtigkeit und Frieden, wenn nicht viele, und schließlich dann alle, mit ihr schwanger gehen?

Jesus ist in seinem kurzen Leben auf so viel Unverständnis und Ablehnung gestoßen, bis hin zu seinem gewaltsamen Tod. Aber so wie er Gottes Herrlichkeit gesehen und verkündet hat – da konnte er nicht anders. Denn Gott selbst in ihm war es ja, der ihm die Kraft gab, an seinem Glauben festzuhalten. Deswegen konnte er, bis zuletzt und darüber hinaus, dafür leben, und dafür auch sein Leben hingeben: Es bleibt dabei, Gott wird, nach allem „Heulen und Zähneknirschen“ (Lk 13,29), sein Versprechen erfüllen: „Sie werden von Osten und Westen und von Norden und Süden kommen und im Reich Gottes zu Tisch sitzen“ (Lk 13,29).

Auch unser Zusammensein am Tisch Jesu ist nicht nur ein Zeichen, mit dem wir auf diese Zukunft hinweisen. Es ist Gottes Zeichen.
Ihm verdanken wir nicht nur, dass er uns so vielfältig Speise gibt zur rechten Zeit (Ps 104,27). Er, seine Liebe, ist unsere Speise, bis in Ewigkeit.

 

Schlusswort

Wie viele christliche Gemeinschaften, kleine und große, haben sich wie wir hier auf unserer ganzen Erde zum Geburtsfest Jesu getroffen! Sie sind zum Kind in der Krippe gegangen, haben dabei den Raum, in dem sie zusammenkamen, als das Zuhause ihres Glaubens erfahren, als einen Kraftort für ihre Lebenswege. Auch wir geben hier Botschaften der Heiligen Schrift weiter. An Weihnachten wird von Menschen erzählt, die der Glanz des Allerhöchsten umstrahlt, vom Engel, und alle hören, was er sagt, lassen es sich sagen: „Fürchtet euch nicht, denn siehe, ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteilwerden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Christus, der Herr“ (Lk 2,1-11). Dass diese und die anderen Heilsbotschaften des christlichen Glaubens lebendig blieben – dazu schließen wir uns den Vielen an, die ihren Beitrag schon geleistet haben. Sein Wert ist unermesslich, ist verzeichnet im Buch des Lebens. Der Segen am Schluss umfasst dankbar all das Gute der Vergangenheit, lässt es aufleben – damit wir uns neu überzeugen lassen: Wir haben allen Grund, unsern Weg fortzusetzen, zuversichtlich und erwartungsvoll.

 

Heinz-Georg Surmund

 

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