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Benediktshof, Münster-Handorf, 24.12.

Heilig Abend 2023

 

Begrüßung

Liebe Glaubensgeschwister! Guten Abend! Guten Heiligen Abend!  
Herzlich willkommen zum Geburtstag des Erstge­borenen der Schöpfung (Kol 1,15)!        
Er sucht uns auf, will uns hinausführen aus der Finsternis und aus dem Schatten des Todes. Er geht uns voran, nimmt uns mit zur Neuen Welt. Ganz anders, wunderbar neu ist sie. Weil Gottes Gerech­tigkeit sie beseelt, sein Friede sie beatmet.

Eigentlich sollte unsere Feier des Heiligen Abend draußen beginnen, unter freiem Himmel. Das regnerische Wetter lässt das nicht zu. Draußen hätte uns noch besser aufgehen können als hier, wie gut die Beiden zueinander passen: Die Christnacht und die kosmische Wende, die sich gleichzeitig ereignet: Die Wintersonnen­wende. Obwohl es dabei um etwas unfassbar Großes geht, Gewaltiges, vollzieht sie sich ohne jedes Aufheben, in aller Stille. Ganz eins ist die Wintersonnenwende offenbar mit ihrer Bescheidenheit, ihrer Demut.   
Am vergangenen Donnerstag haben wir den kürzesten Tag des Jahres durchlebt, auch ihn hinter uns gelassen. Niemand hat gespürt, dass bei dieser Kehrtwende sich so etwas wie ein Ruck in Richtung auf die nächste Sommersonnenwende am 20. Juni 2024 bemerkbar gemacht hätte.

Die kleine Behausung, in der Jesus das Licht der Welt erblickt hat – sie wird überwölbt und umfangen von der Dimension Unendlichkeit. So unfassbar die für uns ist – sie umarmt, sie trägt uns alle. Auch in der tiefsten Meditation können wir nicht bis an die Grenzen des Universums vordringen, zum letzten schwarzen Loch an seinem äußersten Rand. Aber wir sind wohl empfänglich für die Einsicht: Als Kinder unserer Mutter Erde sind wir zugleich Töchter und Söhne des kosmischen Lebensraums, zu dem unser Planet gehört.       
Dieses große Zuhause, das uns umgibt – ihm verdanken wir auch die Schwerkraft. Ebenso beiläufig wie unermüdlich trägt sie uns auf Händen. Dank der Schwerkraft brauchen wir nicht zu befürchten, morgens im Schlafzimmer neben der Deckenleuchte wach zu werden, wenn unten neben dem Bett der Wecker geht.

 

Aus dem Evangelium nach Matthäus (1,18–25)

Mit der Geburt Jesu Christi war es so: Maria, seine Mutter, war mit Josef verlobt; noch bevor sie zusammengekommen waren, zeigte sich, dass sie ein Kind erwartete – durch das Wirken des Heiligen Geistes.   
Josef, ihr Mann, der gerecht war und sie nicht bloßstellen wollte, beschloss, sich in aller Stille von ihr zu trennen.
Während er noch darüber nachdachte, siehe, da erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum und sagte: Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist.     
Sie wird einen Sohn gebären; ihm sollst du den Namen Jesus geben; denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen.       
Dies alles ist geschehen, damit sich erfüllte, was der Herr durch den Propheten gesagt hat:     
Siehe: Die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären und sie werden ihm den Namen Immanuel geben, das heißt übersetzt: Gott mit uns.         
Als Josef erwachte, tat er, was der Engel des Herrn ihm befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich.
Er erkannte sie aber nicht, bis sie ihren Sohn gebar. Und er gab ihm den Namen Jesus.

 

Predigt

Angenommen werden. So begann auch unser Leben. Angenommen werden: Jedes Kind, das beim Verlassen des Mutterleibes mit Schrecken das Licht unserer Welt wahrnimmt, ist darauf angewiesen.

Jesus annehmen – das war, so erzählt unsere Weihnachtsgeschichte in dieser Nacht, für Josef nicht selbstverständlich. Er muss dazu ermutigt werden – muss dies, sich ermutigen lassen, annehmen. Da kommt einer, wirklich ein Engel, der redet Josef gut zu. Und der lässt sich überzeugen, weil er erkennt: Auch wenn ich mich schwertue, mich sträube – so vieles spricht dafür, Ja zu sagen, Ja zu diesem Kind, Ja zu seiner Mutter. Diese Öffnung, dieser Türspalt genügt. Daraufhin kann Gottes Gerechtigkeit in Jesus hervorbrechen wie ein helles Licht, und sein Heil wie eine brennende Fackel (Jes 62,1).

„Wie soll ich dich empfangen und wie begegn ich dir?“ So wendet sich ein Lied des 17. Jahrhunderts an Jesus, das auch in Johann Sebastian Bachs Weihnachts­oratorium erklingt. Jesus empfangen als überwältigendes Glück, als Geschenk göttlicher Freigebigkeit: Vieles, die ganze Not unserer Welt, erschwert das, steht hinderlich im Weg. Aber auch ich selbst.

Meine Begegnung mit diesem Kind – dabei kommt es ja gar nicht zuerst auf meinen Beitrag an. Auch wenn mein Türspalt noch schmaler ist als der von Josef – das genügt. Und dann kann sich zeigen: Es geht nicht um das, was von mir ausgeht. Es geht um das, was auf mich zukommt. Es hängt nicht alles ab von meinem Empfangen. An erster Stelle steht: Dass ich empfangen werde, em­pfangen bin, von wem das ausgeht, und wie es geschieht. Das zählt.

Darüber, darauf konnte ich mich neu freuen, als mir ein niederländisches Gedicht wieder einfiel. Gerrit Achterberg hat es geschrieben. Sein Leben in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts war kurz, wenig erfolgreich. Und es war schwer, sehr schwer. Es ist übrigens kein Weihnachtsgedicht, das ich gleich vortrage. Es spricht von dem, was sich in der Begegnung mit einem Kind ereignen kann, mit jedem beliebigen. Weil jedes beliebige Kind nicht nur dies ist, ein beliebiges Kind. Sondern zugleich und zuerst das Kind.

So unverständlich die Verse im Niederländischen für deutsche Ohren sein können – trotzdem und sogar deswegen kann sich zeigen: Dieses Gedicht ist zuerst und zuletzt Klang. Deshalb kann es Anklang finden.

 

Gerrit Achterberg (1905 - 1962)

Terwijl wij het niet laten blijken
Dat werelden in ons bezwijken
Kijkt het kind ons aan.

Hij weet er alles van
En vindt vanzelf een naam
Bewaard binnen zijn koninkrijken.

En vangt met ons het spelen aan
Als zijnsgelijken.         
Een gans heelal                                   
Is eeuwig voor zolang.

 

Während wir es uns nicht anmerken lassen
Dass Welten in uns untergehen
Guckt das Kind uns an.

Er ist über alles im Bilde
Und findet von selbst einen Namen
Bewahrt im Innern seiner Königreiche.

Und fängt mit uns das Spielen an
als Seinesgleichen.
Ein ganzes Weltall
ist ewig für solange.

 

Das Kind als Schlüssel, der Tiefen erschließt und Weiten, die niemand kennt – dieses Kind feiern auch wir heute hier in der Menschwerdung Gottes, wie er sie uns in Jesus von Nazareth schenkt. Gottes Menschwerdung ist zuerst Kind-Werdung. Gottseidank! Und es ist kein Zufall, dass dieser Jesus allen Erwachsenen empfiehlt, dabei, beim Erwachsen-Sein, nicht stehen zu bleiben. Um Himmelswillen, nein! Denn dann, ab achtzehn, bietet sich die Chance noch einmal, dann aber anders. Wenn wir uns doch nur von ihr ergreifen lassen könnten! Welche Chance? Umkehren und werden wie die Kinder (Mt 18,3). Dann kann und wird er mit uns das Spielen anfangen, als Seinesgleichen. Ein ganzes Weltall ist ewig für solange.

„Ihr müsst von oben geboren werden, aus dem Geist“ (Joh 3,7 - 8) – das konnte Jesus nur sagen, dazu konnte er nur deshalb glaubwürdig einladen, weil sich diese Verwandlung, von oben geboren werden aus dem Geist, in ihm vollzogen hatte. Damit sie uns ergreift, können wir als Einzelne unsere Sehnsucht danach miteinander teilen. Im Geist und in der Kraft Jesu. Wir werden Teil einer Gemeinschaft, die schließlich, wie wir im Epheserbrief lesen, feststellen darf, und sich darüber nur wundern, dafür nur danken kann; „Einst waren wir Finsternis, jetzt aber sind wir Licht im Herrn. Leben wir als Kinder des Lichts! Denn das Licht bringt lauter Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit hervor“ (vgl. Eph 5,8 - 9).

In den letzten sieben Tagen des Advent sind gerade wieder vielerorts rund um unsern Globus die O-Antiphonen des Gregorianischen Chorals erklungen – sieben Mal Sehnsucht, sieben Mal das gesungene „O“ als Auftakt. Derselbe Tonsprung, eine Quart, vier Töne aufwärts, erklingt etwas später beim Ruf, bei der Bitte „veni“, „komm“. Am 20. Dezember wird das erwartete, herbeigesehnte Kind angerufen als Schlüssel, „der öffnet, und niemand schließt, der schließt und niemand öffnet“. „Komm“, bittet der Gesang, „komm, und führe den Gefesselten aus dem Kerker, der in Finstern sitzt, und im Schatten des Todes“        
(O clavis David, et sceptrum domus Israel: qui aperis, et nemo claudit; claudis, et nemo aperit:   
veni, et educ vinctum de domo carceris, sedentem in tenebris et umbra mortis“)

Der Quartsprung der O-Antiphon erfüllt immer wieder unsere Straßen – wenn Krankenwagen ausrücken, oder die Feuerwehr und die Polizei. Ich könnte, fiel mir ein, wenn ich das höre, jedes Mal leise vor mich hinsingen: „O Immanuel“ (Beginn der Antiphon am 23.12.), und dabei an die Helferinnen und Helfer in ihrem Einsatz denken, an die, zu denen sie unterwegs sind – und an die Kraft, die in all dem wirkt, Immanuel, Gott-Mit-Uns. Am 23.12. habe ich es erstmals getan, da war ich gerade in der Promenade unterwegs: „O Immanuel“.

Zum Schluss noch dies. Morgen, Weihnachten, bleibt’s nicht beim Quartsprung. Der gregorianische Eingangsgesang am Ersten Weihnachtstag jubelt: „Ein Junge ist uns geboren“. Und gleich, im ersten Wort, „puer“, erhebt sich statt der Quart ein fünftöniger Sprung, eine Quinte, in der sich Himmel und Erde berühren:
„Puer natus est nobis, et filius datus est nobis“. 

In der Nachfolge Jesu sollen uns „Wunder über Wunder“ geschenkt werden. Tief erfreut darüber ist auch Heinrich Seuse, Schüler von Meister Eckhart im dreizehnten Jahrhundert. Wo sucht Gottes Geist uns auf, mit seinen Gaben, Wunder über Wunder? Seuses Antwort ist: „In der überstrahlenden dunklen Finsternis, die da ein lichtreicher Schein ist, alle Offenbarung übertreffend, in dem da alles widerleuchtet und der die unsichtbare Vernunft in eine Fülle unbekannter, unsichtbarer, hell strahlender Lichter taucht.“

„Terwijl wij het niet laten blijken …” (s.o.)

 

Friedensgruß

Liebe Schwester, lieber Bruder! Dein und unser Gott lässt es sich nicht nehmen, der zu bleiben, der er ist.     
Wer ist er denn? „Ich, der gebären lässt“, so versteht er sich. So hat er sich Jesaja, dem Propheten, vorgestellt. „Ich, der gebären lässt“ – davon lässt er sich nicht abbringen. Er sagt: „Sollte ich, der gebären lässt, den Schoß verschließen?“ (Jes 66,9b)

 

Schlusswort (Gebet von Paul Gerhardt, die 5. und 7. Strophe seines Liedes „Wie soll ich dich empfangen“)

Der Dichter Paul Gerhardt lebte im 17. Jahrhundert, das vom Dreißigjährigen Krieg verheerend verwüstet war. In seinem Weihnachtsgedicht spricht er Jesus mit den folgenden Worten an:

„Nichts, nichts hat dich getrieben / zu mir vom Himmelszelt / als das geliebte Lieben, / damit du alle Welt / in ihren tausend Plagen / und großen Jammerlast, / die kein Mund kann aussagen, / so fest umfangen hast.

Ihr dürft euch nicht bemühen / noch sorgen Tag und Nacht, / wie ihr ihn wollet ziehen / mit eures Armes Macht. / er kommt, er kommt mit Willen,  / ist voller Lieb und Lust, / all Angst und Not zu stillen, / die ihm an euch bewußt.“ (Paul Gerhardt, Wie soll ich dich empfangen, Strophen 5 und 7)


Heinz-Georg Surmund

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