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Greven St. Josef, St. Martinus, Münster St. Antonius (Queer-Gemeinde), 11.12.

Dritter Advent 2022

Greven St. Josef, St. Martinus, Münster St. Antonius (Queer-Gemeinde), 11.12.

 

Einführung

Manchmal habe ich Heimweh. Nicht nach einer bestimmten Landschaft, nach einem bestimmten Haus, das da stand, nicht nach dem jeweiligen Zuhause. Sondern Heimweh nach der Freude. Also nicht nach bestimmten Freuden, die ich schon kenne. Sondern nach der Freude überhaupt, der Freude im Ganzen. Freude in Fülle eben, „alle die Schönheit Himmels und der Erde“ (GL 364,2). Diese ganz große Freude, die steht noch aus. Danach hält der Advent Ausschau, guckt sich die Augen aus. Die ganz große Freude – die wird gefeiert, kann erst gefeiert werden beim Fest der Befreiung, das alle begeistert und beglückt.

 

Predigt (Jesaja 35, 1 - 6a.10; Matthäus 11, 2 - 11)

Er hat ihn entdeckt. Als erster hat Johannes erkannt, und auch tiefer als die meisten, wer Jesus ist. Wofür er gut ist. Und der Täufer am Jordan – wie begeistert hat Jesus über ihn gesprochen! Wie Johannes und Jesus einander begreifen, verstehen – das ist zum entscheidenden Fingerzeig für die Berufung Jesu geworden, für sein Lebenswerk. Und so haben Johannes und Jesus wohl auch gemeinsam gespürt und sich darüber gefreut: Wieviel Antrieb, wieviel Kraft zum Aufbruch geben prophetische Stimmen, besonders Jesaja! Unsere erste Lesung heute am Dritten Advent verdanken wir ja seinem Buch.
Dann aber, bald schon, wird Johannes unsicher. Hat er sich getäuscht? Mittlerweile ist er verhaftet, sitzt eingesperrt im Gefängnis. Da kann er nicht anders. Er muss seine Vertrauten zu Jesus schicken mit der Frage: „Bist du der, der kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?“ (Mt 11,2 - 3). Der Grauschleier dieser Verstimmung – wir wissen nicht, ob und wie er noch vor Johannes‘ baldigem Tod verschwunden ist. Jedenfalls gibt es in der Beziehung dieser beiden Männer nicht nur Freude, begeisterte Freude, sondern auch Zweifel und Trauer. Und als Johannes enthauptet wird, weiß Jesus: Auch mich haben die Mächtigen längst ins Visier genommen. Auch ich bin bedroht, ebenfalls lebensgefährlich.

Getrübte Freude. Sie ist, anders als die reine, die pure Freude, von Sorge überschattet, von Angst. Getrübte Freude hat anderen Freuden dies voraus: Sie hat ein Verhältnis, hat ihr Verhältnis zur dunklen Seite unseres Daseins. Mit ihr ist sie unlösbar verbunden, ihr verdankt sie ihre Eigenart, und auch ihre besondere Kraft. Die Freude am heutigen Dritten Advent ist ebenfalls nicht rein, nicht pur. Ob die katholische Liturgie ihr, der Freude in Tränen, auch deshalb diese Farbe anzieht, Rosa?
Nur an zwei Tagen im Jahr wird sie in unsern Kirchen getragen: Jetzt, Mitte Dezember, und dann wieder am vierten Sonntag in der österlichen Bußzeit, im folgenden Jahr am 19. März.

Viel Besonderes ist über Rosa zu sagen. Jetzt fiel mir dies auf: Für Rosa gilt kein Reinheitsgebot. Rosa vermischt sich gern und vielfach. So kann es zu vielen Tönen und Schattierungen kommen – vom lichten Blassrosa bis zum dunklen Rosarot. Rosa vermittelt zwischen kühlen und warmen Nuancen – „mit einem lachenden und einem weinenden Auge“, oder, wie es niederländisch klingt, schöner rhythmisiert, „met een lach en een traan“. Farbenfroh ist Rosa, gern, variationsfreudig. Bunt und blau aber auch wie das Leben. Ich fühle mich an Jesus erinnert mit seinen Freuden und seinen Tränen, mit seinen geöffneten Armen, mit seinem Wort: „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid! Ich will euch erquicken“ (Mt 11,28).

Menschen am Rand, ins Dunkel verbannt – zu ihnen gehörten lange die Homosexuellen. Sie habe ich als Heranwachsender wahrgenommen als Mühselige und Beladene. So vor allem wurden sie mir damals vorgestellt, in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre. Bevor Homosexuelle endlich aus dem Schatten des Dritten Reiches heraustreten durften – auch hier hat unsere Bundesrepublik sich viel Zeit gelassen, unsere Kirche erst recht. Heute endlich hat das Leben den gleichgeschlechtlich Liebenden hierzulande nicht nur dies zu bieten: Lächeln unter Tränen. Gut, dass es dabei nicht geblieben ist. Gut, dass Kindern und Jugendlichen heute nicht mehr die Scheuklappen verpasst werden, die in meinen Kinder- und Jugendjahren gang und gäbe waren. Gut, dass nicht nur junge Menschen heute erfahren und einüben: Es öffnen sich Welten, wenn wir Minderheiten nicht mehr ausgrenzen, sondern einbeziehen. Wie steigert, wie vertieft sich unser Glück, wenn wir anderen dasselbe Daseinsrecht gönnen, dieselbe Entfaltung, nach denen wir uns selber sehnen.
„Nach Freundschaft solch ein maßloses Verlangen“ – oder im Original, wieder niederländisch: „Naar vriendschap zulk een mateloos verlangen”. Das ist ein Stoßseufzer des schwulen Dichters Jakob Israël de Haan (1881-1924) – oder ist es kein Stoßseufzer, sondern ein Stoßgebet: „Nach Freundschaft solch ein maßloses Verlangen“? Diese sechs Wörter, jedes einen halben Meter groß, gehören zum Homomonument vor der Westerkerk in Amsterdam. Es wurde im Jahr 1989 eingeweiht, weltweit als erstes Gedenkzeichen dieser Art in der Hauptstadt eines Landes. Dreiecke von rosa Marmor sind in den Boden eingelassen. Sie erinnern an die sogenannten rosa Winkel, aufgenähte Dreiecke aus Stoff. Homosexuelle Gefangene mussten sie in den Vernichtungslagern der Nationalsozialisten auf der Häftlingsjacke tragen.

„Naar vriendschap zulk een mateloos verlangen” – dieser Schriftzug erinnert nicht nur an diese entrechtete, gequälte Menschengruppe, und auch nicht nur an all die anderen Opfer menschlicher Gewaltherrschaft. „Nach Freundschaft solch ein maßloses Verlangen“ – da geht es um alle. Auch wir können uns darin wiedererkennen. Denn dies steckt in uns allen, der Aufruf, der in uns atmet, die Ermunterung: Glaubt daran, freut euch an ihr! Überlasst euch der großen Sehnsucht, die euch vom ersten bis zum letzten Atemzug beseelt: „Lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft“ (Dtn 6,5, Mk 12,30). „Der glühende Sand wird zum Teich, und das durstige Land zu sprudelnden Wassern“. Das sagt Jesaja, und er ist überzeugt: So kann sich auch unser menschliches Leben verwandeln. „Dann springt der Lahme wie ein Hirsch, und die Zunge des Stummen frohlockt“ (Jes 35,7.6).

Nein, nichts und niemand ist ausgenommen. Hinauswachsen will sie ja schließlich über sich selbst, die ganze Schöpfung und was in ihr lebt. Dann werden die von Gott Befreiten heimkehren mit ewiger Freude auf ihren Häuptern (Jes 35,10a.11a). „Jubeln werden die Wüste und das trockene Land, jauchzen wird die Steppe und blühen wie die Lilie. Sie wird prächtig blühen, und sie wird jauchzen, ja jauchzen und frohlocken“ (Jes 35,1 - 2).
Seit langer Zeit inspiriert David, der Prototyp des biblischen Sängers, unzählig viele Menschen durch seine Psalm-Lieder. Seine Größe und Schönheit glänzen auch in seinen Tränen. Einmal hat David Gott mit diesem Vers gedankt: „Du hast mir meine Klage in Tanzen, in Tanzen verwandelt, mein Trauerkleid gelöst, mich mit Freude, mit Freude umgürtet“.

 

Zum Friedensgruß

Leid und Not belasten, beunruhigen, zermürben so viele Menschen. Wir sehnen uns nach der Gerechtigkeitsmacht, nach der Friedenskraft, die erschlaffte Hände wieder stark und wankende Knie wieder fest macht. Dann werden, verspricht Jesaja, die Augen der Blinden geöffnet, auch die Ohren der Tauben können wieder hören. Kummer und Seufzen entfliehen, Wonne und Freude stellen sich ein (Jes 35,3.5.10).

 

Schlusswort

Verachtete, unterdrückte Minderheiten kämpfen auch jetzt in vielen Ländern unserer Erde um ihre Rechte, ihre Würde, ihr Leben. Ihre Stärke liegt in ihrer Solidarisierung. Ihre Befreiung beginnt, kommt in Gang, wenn ihre Anliegen von Gleichgesinnten unterstützt werden, und dann auch beim überwiegenden Teil der Zivilgesellschaft Anklang finden. Der biblische Glaube ist überzeugt: Gottes Geist ist der lange Atem in allen Bemühungen um Gerechtigkeit und Frieden. So und vielfältig anders segnet uns der allmächtig barmherzige Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.

 

Heinz-Georg Surmund

 

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